Forschung
Dabei geht es nicht nur um Forschung, die die Effektivität nachweist, es geht auch um eine konsequente Diskussion theoretischer Positionen innerhalb unserer Richtung.
Verena Kast (Die Tiefenpsychologie nach C.G. Jung, 2007, S. 104)
Promotionsmöglichkeiten bei analytisch-psychologisch ausgerichteten Professorinnen und Professoren in der Schweiz, Deutschland und Österreich
Wenn Sie im Bereich der Analytischen Psychologie promovieren möchten, können Sie sich an die Betreuer*innen wenden, die im Merkblatt zu Promotionsmöglichkeiten des INFAP3 verzeichnet sind.
Forschung innerhalb der Fachgesellschaft DGAP
Die DGAP (Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie) informiert auf ihrer Webseite über Forschungsaktivitäten und bietet Zugang zu einer Reihe von Publikationen.
Forschung im Internationalen Netzwerk INFAP3
INFAP3 versteht sich als interdisziplinäres Forum für Forschungsansätze innerhalb der Analytischen Psychologie. Es führt keine eigenständige Forschung durch, unterstützt vielmehr laufende Forschungsprojekte und Studien. Entstanden ist das Forum 2013 aus einer Arbeitsgruppe Forschung der DGAP, die das Ziel hatte, die empirische Forschung innerhalb der C.G. Jung-Institute in Deutschland und der Schweiz zu initiieren und in jährlichen Abständen in einem der Institute einen Forschungstag bzw. Symposium abzuhalten, in dessen Rahmen einzelne Forschungsergebnisse, Projekte, Ideen vorgestellt – und zusammen mit forschungserfahrenen Kollegen diskutiert werden können. Aus dieser Initiative entwickelte sich ein Zusammenschluss von forschungsinteressierten Kolleginnen und Kollegen der drei Fachgesellschaften DGAP, ÖGAP, SGAP zu einem eigenständigen Forschungsverbund INFAP3 – Internationales Netzwerk Forschung und Entwicklung in der Analytischen Psychologie Dreiländergruppe.
Forschung in Berlin: Wirksamkeit und Kosten-Nutzen-Aspekte ambulanter (jungianischer) Psychoanalysen und Psychotherapien – eine katamnestische Studie
W. Keller, G. Westhoff, R. Dilg, R. Rohner, H.H. Studt und die Arbeitsgruppe empirische Psychotherapieforschung in der Analytischen Psychologie Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie im Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Freie Universität Berlin
Trotz zahlreicher empirischer Ergebnisstudien zur Effektivität der Psychotherapie fehlten lange Studien zum Wirksamkeitsnachweis von Langzeitanalysen mit einem naturalistischen Design unter Einbeziehung niedergelassener Psychoanalytiker und Psychotherapeuten. Verantwortlich dafür sind die lange Laufzeit prospektiver katamnestischer Untersuchungen, die damit verbundenen hohen Kosten sowie methodische Schwierigkeiten im Bereich der Versorgungspraxis. Aus Gründen der Realisierbarkeit in einem akzeptablen zeitlichen und finanziellen Rahmen wurde ein retrospektives, naturalistisches Mehrebenendesign gewählt. Diese Studie wurde über Drittmittel finanziert.
Ziele der Studie sind
- ein Wirksamkeitsnachweis von Langzeitanalysen > 100 Stunden in der Versorgungspraxis und die Überprüfung der Stabilität des Behandlungsergebnisses durch eine Nachuntersuchung 6 Jahre nach Therapieende,
- Evaluation von Kosten-Nutzen-Aspekten,
- Implementierung von Forschungsstrategien in den ambulanten Versorgungsbereich als Maßnahme der Qualitätssicherung. Methodik und Design.
Zentraler Bestandteil der Studie war zum einen die Nachuntersuchung der ehemaligen Patienten über einen Fragebogen 6 Jahre nach Beendigung der Psychotherapie bzw. Psychoanalyse. Zum anderen waren es die Erhebung objektiver administrativer Inanspruchnahmedaten der Krankenkassen: Arbeitsunfähigkeitstage/AU-Tage und Krankenhaustage (KH-Tage 5 Jahre vor und nach der Behandlung). Alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Analytische Psychologie, der Dachorganisation jungianischer Psychoanalytiker (DGAP) wurden zur Teilnahme an der Studie aufgefordert. 78% antworteten auf unsere Anfrage, 24,6% nahmen an der Studie Teil. Die teilnehmenden niedergelassenen Therapeuten dokumentierten anhand ihrer Aufzeichnungen alle 1987 und 1988 abgeschlossenen Fälle, einschließlich der Abbrecher über einen Basisbogen hinsichtlich klinischer, soziodemographischer Daten und Settingscharakteristika bei Behandlungsbeginn und gaben eine globale Einschätzung der Verfassung ihrer Patienten bei Beendigung der Therapie. Die Selektion der über den Katamnesefragebogen erreichten Stichprobe von 111 Fällen wurde durch den Vergleich mit den insgesamt 353 dokumentierten Therapieabschlüssen aus den Jahren 1987/88 kontrolliert. Die Selektion der teilnehmenden Therapeuten wurde über einen survey aller DGAP Mitglieder hinsichtlich zentraler Therapeuten -und Settingscharakleristika kontrolliert. Anhand der Anträge der ehemaligen Therapeuten zur Kostenübernahme wurde retrospektiv von unabhängigen Ratern eine ICD-10 Klassifikation vorgenommen und die Krankheitsschwere nach der Methode von Schepank (BSS, 1987, 1994) eingeschätzt.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen auf mehreren Beurteilungsebenen und Erfolgskriterien die Wirksamkeit jungianischer Psychoanalysen und Psychotherapien für den größten Teil der Untersuchungsteilnehmer (70% – 90% je nach Kriterium). Im Einzelnen zeigte sich die Behandlungseffektivität auf fünf unterschiedlichen Ebenen:
- 70-94% der Probanden berichten über gute bis sehr gute Verbesserungen in der subjektiven komparativen Selbsteinschätzung der Patienten hinsichtlich körperlicher, psychischer Symptomatik, allgemeiner Lebenszufriedenheit, in der beruflichen Leistungsfähigkeit, ihren partnerschaftlichen und familiären Beziehungen sowie in weiteren sozial relevanten Bereichen (einschließlich des subjektiven Krankheitsverhaltens).
- In der globalen Einschätzung der Verfassung der Patienten bei Therapieende durch den früheren Therapeuten und die relativ gute Übereinstimmung mit dem Patientenurteil bei der katamnestischen Nachuntersuchung 6 Jahren nach Behandlungsende (Therapeut: 60,3% gute, 29,7% mäßige, 5,4% unveränderte oder verschlechterte Gesamtverfassung, Patienten: 70,3% gut gebessert 22,5% mäßig, 7,2% unverändert oder verschlechtert).
- In den standardisierten psychometrischen Testuntersuchungen des aktuellen Gesundheitsstatus liegt die untersuchte Stichprobe in den relevanten Veränderungsqualitäten der Symptomatik (SCL 90-R) und der Persönlichkeit (Gießen-Test) im Vergleich mit anderen klinischen Krankheitsgruppen im Bereich gesunder Normstichproben. Hinsichtlich einer Veränderung des Erlebens und Verhaltens (VEV) zeigen die untersuchten Probanden im Vergleich zu der Eichstichprobe auf dem 0, l% Signifikanzniveau Verbesserungen in unterschiedlicen Lebensbereichen.
- Die vergleichenden „prae – post“ Fremdbeurteilung des aktuellen Krankheitsstatus durch klinische Interviews bei der Nachuntersuchung einer Teilstichprobe von N=33 Patienten (Berliner Regionalstichprobe) durch unabhängige Untersucher zeigte eine signifikante (P < 0.01) Abnahme der Krankheitsschwere (Beeinträchtigungsschwere nach Schepank).
- In der Reduktion der objektiven, bei den Kostenträgern erhobenen Arbeitsunfähigkeitszeiten und Krankenhaustage im Vergleich 5 und 1 Jahr vor und nach der Behandlung sowie in dem Vergleich mit den Durchschnittswerten einer großen Krankenkasse (Barmer Ersatzkasse) aus den untersuchungsrelevanten Jahren (Abb. 1 und 2). Eine Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten und der beanspruchten Krankenhaustage nach einer Behandlung kann als indirektes Maß für den Therapieerfolg angesehen werden. Für die Bestimmung der Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) müssen die Probanden in einem kontinuierlichen Arbeitsverhältnis stehen. Dadurch fällt ein Teil der Stichprobe für diese Fragestellung aus. Die Stichprobe reduzierte sich daher von 111 auf 47 Patienten für die AU-Tage und 58 Patienten für die KH-Tage.
Konklusion
Aus fünf unterschiedlichen Perspektiven und verschiedener Erfolgskriterien ließ sich die Wirksamkeit jungianischer Psychoanalysen und Psychotherapien nachweisen. Mehr als 3/4 der untersuchten Patienten hatten eine Psychoanalyse, so daß für die Langzeitanalysen damit ein empirischer Wirksamkeitsnachweis vorliegt, der auch noch nach durchschnittlich 6 Jahren nachweisbar ist. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes und des Krankheitsverhaltens führt auch noch nach 5 Jahren zu einer deutlich anhaltenden Reduktion der Inanspruchnahme von Krankenkassenleistungen (AU-Tage, Krankenhaustage, Zahl der Arztbesuche und der Medikamenteneinnahme) eines großen Teils der behandelten Patienten und damit zu einer Kostenersparnis. Kosten-Nutzen Erwägungen spielen als Erfolgskriterien besonders für die Gesundheitsverwaltung eine zunehmende Rolle. Wie wir anhand dieser retrospektiven Studie nachweisen konnten, hat die Psychotherapie offenbar einen langanhaltenden Effekt auch auf das Inanspruchnahmeverhalten der Patienten. Die lückenlose Erhebung dieser Daten erfordert eine große Sorgfalt und ein methodisch abgesichertes Vorgehen für die Interpretation der Daten (Richter et al. 1994). Wenn diese Voraussetzungen jedoch gegeben sind, lassen sich zusammen mit den klinischen Ergebnissen auch bei dem retrospektiven Design überzeugende Argumente für die Wirksamkeit der Psychoanalyse bzw. Psychotherapie finden.
Literatur
Schepank, H: Psychogene Erkrankungen der Stadtbevölkerung – eine epidemiologische Studie in Mannheim. Springer, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo (1987)
Richter, R, Hartmann, A, Meyer AE, Rüger, U: Die Kränkesten gehen in eine psychoanalytische Behandlung? – Kritische Anmerkung zu einem Artikel in Report Psychologie. Zsch. psychosom. Med. 40, 41-51 (1994)
Fußnoten
1 – D. Baldus, R. Väth-Szusdziara, C. Weitze, R. Huntzinger, G. Betzner, H. Krause, P. Affeld-Niemeyer, A. Göttke, S. Loesche
2 – Stiftung für Bildungs- und Behindertenforschung: Robert Bosch Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie (DGAP)
Abb. 1a
Mittlere Anzahl AU-Tage 5 Jahre vor und nach Therapie
n = 47, p = .057
18 | ||
16 | ||
14 | ||
12 | ||
8 | ||
6 | ||
Tage / Zeitraum | 5 Jahre vor Psth | 5 Jahre nach Psth |
Abb. 1 b
Mittlere Anzahl Krankenhaustage 1 Jahr vor und 1 Jahr nach Therapie
n = 58, p = .037
10 | ||
8 | ||
6 | ||
4 | ||
2 | ||
0 | ||
Tage / Zeitraum | 1 Jahre vor Psth | 1 Jahre nach Psth |
Abb. 2
Vergleich der mittleren AU-Tage 1 Jahr vor und 1 Jahr nach Psychotherapie mit dem Durchschnitt der Barmer Ersatzkasse Objektive Angaben des Kostenträgers
Summe der AU-Tage/100 | AU-Fälle/100 | AU-Dauer (Tage) | |
1 J. vor Therapie | 1456,1 | 61,4 | 41,6 |
1 J. nach Therapie | 819,6 | 59,6 | 13,5 |
Durchschnitt der BEK 1985 („prae“) | 1083 | 68 | 16 |
Durchschnitt der BEK 1989 („post“) | 1229 | 83 | 15 |
Stichprobe n=47 hochgerechnet auf 100 Patienten
Das Poster des Forschungsprojekts als PDF: Poster Jungstudie.
Elektronisch auf dieser Site veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autoren. © W. Keller 1997, Berlin. Alle Rechte vorbehalten.
Eine etwas längere Version der Ergebnisse wurde publiziert als Keller W (1997) „Research and jungian psychotherapy – Outcome studies, part II“. In: Mattoon MA (ed) Open Questions in Analytical Psychology. Proceedings of the Thirteenth International Congress for Analytical Psychology, Zürich 1995. Einsiedeln, Daimon, pp 641-645
Weitere Studien und Informationen zu Forschung in der Analytischen Psychologie
Sie finden auf der Webseite des Internationalen Netzwerks Forschung und Entwicklung in der Analytischen Psychologie – Dreiländergruppe weitere Informationen und auf der Webseite der DGAP auch einige Grundlagentexte zur Forschung in der Analytischen Psychologie, z.B. von Prof. Dr. Christian Roesler: „Empirisch gut bestätigt. Die Wirksamkeit der Jung’schen Psychotherapie – Ein Überblick über den empirischen Forschungsstand“ (2012).